Rechtliches

Öffentliches Beschaffungswesen und Verletzung der Rücktrittspflicht (Art. 29 der Bundesverfassung)

In einem Urteil vom 16. September 2025, das am 4. November 2025 veröffentlicht wurde, hob das Bundesgericht einen Entscheid des Internationalen Flughafens Genf über einen öffentlichen Auftrag im Wert von mehr als einer halben Milliarde Franken auf, der zuvor vom Genfer Kantonsgericht bestätigt worden war

Die G.-Gruppe, zu der eines der beiden Unternehmen des siegreichen Konsortiums gehört, hatte zum Zeitpunkt der Ausschreibung mehrere vertragliche Beziehungen zur D.-Gruppe.

Insbesondere hatten die beiden Konzerne ein gemeinsames Konsortium gebildet, um die Konzession für den Betrieb eines Flughafens in Paris zu erhalten, die sie auch tatsächlich gewannen. Seitdem verwalten sie diese Infrastruktur gemeinsam mit anderen Partnern.

Auf der Grundlage dieser Elemente hätte die D.-Gruppe kein Mandat im Rahmen des fraglichen Ausschreibungsverfahrens (als Sachverständiger bei der Bewertung der Angebote) annehmen dürfen, und ihre Mitarbeiter hätten sich selbst zurückziehen müssen, da die engen wirtschaftlichen Beziehungen zur G.-Gruppe den Anschein der Parteilichkeit erweckten und ein reales Risiko für eine unparteiische Behandlung der Angebote darstellten.

Obwohl das Bundesgericht der Ansicht war, dass die Mitarbeiter der D.-Gruppe nur einen indirekten und geteilten Einfluss auf die Bewertung der Angebote hatten, da sie als externe Sachverständige nur für zwei Unterkriterien des Zuschlags tätig wurden, und dass die Klägerin auch dann auf dem zweiten Platz der Rangliste geblieben wäre, wenn ihre Schlussfolgerungen, die sich nur auf diese Unterkriterien bezogen, akzeptiert worden wären, hob es die Entscheidung dennoch auf und stimmte damit dem Kantonsgericht zu.

Diese Elemente reichen nicht aus, um zu zeigen, dass ein Einspruch des Teams D. und seiner Mitarbeiter - deren Unparteilichkeit zumindest zweifelhaft war - das Endergebnis des Verfahrens in keiner Weise verändert hätte.

Es besteht nämlich kein Zweifel daran, dass die Bewertung, die sich aus einem Gutachten oder einer technischen Beratung ergibt, einen erheblichen Einfluss auf die Endnote der Angebote haben kann. Im Übrigen spiegeln die Berichtigungsanträge, die ein Bieter im Rahmen seiner Beschwerde gegen eine Zuschlagsentscheidung stellen kann, nicht unbedingt alle möglichen Folgen wider, die die Verletzung der Rügepflicht für das Vergabeverfahren gehabt haben kann, da es für einen ausgeschlossenen Bieter fast unmöglich ist, die tatsächlichen Auswirkungen dieser Verletzung auf die Bewertung des erfolgreichen Angebots zu beurteilen.

Auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist schließlich daran zu erinnern, dass ein Bieter in der Praxis die Bewertung der Angebote vor der Nachprüfungsbehörde nur anfechten kann, wenn er einen Überschuss oder einen Ermessensmissbrauch seitens der Vergabebehörde nachweist, was ihn in der Praxis dazu zwingt, seine Kritik auf die offensichtlich problematischen Aspekte der Bewertung zu beschränken.

Es wäre daher absurd, sie zu zwingen, weitergehende, aber erfolglose Nachbesserungsanträge in Bezug auf die Bewertung der Angebote (sowohl ihrer eigenen als auch der des Zuschlagsempfängers) zu stellen, nur um die Nachprüfungsbehörde daran zu hindern, die Aufhebung der Zuschlagsentscheidung abzulehnen, selbst wenn feststeht, dass eine solche Entscheidung unter Verletzung einer Rügepflicht ergangen ist.

In diesem Urteil - in dem das Bundesgericht eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gemäss Art. 83 lit. f FZG behandelte - erinnerte unser Obergericht daran, dass ein unter Verletzung der sich aus Art. 29 Abs. 1 BV ergebenden Einsprachevoraussetzungen ergangener Entscheid grundsätzlich aufzuheben ist, ohne dass der Beschwerdeführer beweisen muss, dass der Entscheid bei Erfüllung dieser Voraussetzungen anders ausgefallen wäre.

Ausnahmsweise kann die Nachprüfungsbehörde jedoch von diesem Grundsatz abweichen, wenn der Verstoß gegen die Einspruchspflicht nicht schwerwiegend ist und wenn nachgewiesen wird, dass er keinen Einfluss auf die Wahl des Zuschlagsempfängers hatte.

Ein solcher Nachweis, der dem Auftraggeber und/oder dem Zuschlagsempfänger obliegt, ist jedoch nur mit großer Vorsicht zuzulassen, da ein Verstoß gegen die Einspruchsregeln ein konkretes und nicht unerhebliches Risiko eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Bieter mit sich bringt.

Im vorliegenden Fall wurde dieser Nachweis nicht erbracht, so dass die vom kantonalen Gericht bestätigte Entscheidung aufgehoben werden musste.

 

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